Sonntag, 13. Mai 2012

Reisebericht Ruanda

Eine Reiseplanung hatten Felix und ich, als wir uns am 26.04 früh morgens nach Ruanda aufmachten, nicht angefertigt – um ehrlich zu sein hatten wir so gut wie keine Ahnung.
Aber das war auch erst einmal gar nicht so schlimm, da wir es an diesem Tag lediglich bis nach Kahama, einer Kleinstadt, dessen Bevölkerung zum großen Teil in der Goldmine eines britischen Unternehmens arbeitet, schafften. Dort trafen wir den Vater von Ema (gesprochen „Ima“) , unserem kleine Gastbruder. Seit Ema zwei oder drei ist wohnt er schon in Arusha bei Mama Neema, weil sich seine Eltern getrennt haben und anscheinend keiner der beiden die Verantwortung für den kleinen Ema übernehmen wollte.
Emas Papa hat uns auf jeden Fall freundlich empfangen und uns eine sichere Unterkunft besorgt sowie die Weiterfahrt am nächsten Tag für uns geregelt.
Am darauf folgenden Tag ging es um fünf Uhr morgens auf einem Motorradtaxi mit drei Mann und zwei großen Reiserucksäcken von unser Unterkunft zur Busstation. Wir stiegen dort in einen Überlandbus, welcher die Aufschrift „Bujumbura, BURUNDI“ trug; man versicherte uns aber zutiefst, dass wir noch an diesem Tag in Kigali, Ruanda ankommen würden.
Nachdem wir beide aus unserem nachgeholten Schlaf erwachten, warf ich einen besorgten Blick über unsere Landkarte, welche andeutete, dass wir uns bereits von der Hauptstraße zur ruandischen Grenze entfernt hatten und auf bestem Wege nach Burundi waren.
Irgendwann, nach Serpentinen-reichen Kurven und ohrenbetäubenden Motorengebrüll der Lastkraftwagen, die sich im Schneckentempo die Hügel hinauf quälten, hielt unser Bus abrupt im Nirgendwo an und man deutete uns an doch bitte auszusteigen. Auf uns wartete – vielleicht aber auch nur zufällig – ein Kleinbus, in den wir entstiegen, während sich der Reisebus in die Richtung aufmachte aus der wir gekommen waren....
Anders als erwartet gestaltete sich die Reise bis nach Kigali jedoch äußerst angenehm, mal abgesehen davon, dass unsere Gesäßmuskulatur uns die zwei Reisetage im Bus spüren ließ.
An der Grenze wurden wir höchst zuvorkommend von einem jungen Mann begleitet, von dem keiner von uns beiden so recht wusste, um wen es sich überhaupt handelte. Ohne Komplikationen und günstiger Weise auch ohne irgendwelche Dollar Noten am Immigrationsschalter zu lassen, wurden wir an der letzten Schranke dann doch noch in ein dunkles Militärhaus gewunken. Rucksackkontrolle. Aber nicht etwa nur um nach geschmuggelten Drogen, Waffen oder Diamanten zu suchen, nein, sondern ebenfalls sicher zu stellen, dass wir keine Plastiktüten nach Ruanda einführen. Richtig. Plastiktüten.
Seit einigen Jahren ist es nämlich gesetzlich in Ruanda verboten Plastiktüten zu verwenden, um die Umweltbelastung zu reduzieren. Ein Beispiel, das sich auch Tansania zu Herzen nehmen sollte.
Stadtzentrum
Doch dies sollte noch lange nicht das Ende der positiven Eindrücke Ruandas sein. Als wir in Kigali aus dem Bus stiegen, fühlten wir uns irgendwie allein gelassen. Etwas ganz Entscheidendes und Bekanntes fehlte. Warum wurden wir weder von aufdringlichen Taxifahrern, die einem die Gepäckstücke aus der Hand nehmen bevor man überhaupt „Nein, danke!“ sagen kann, noch von penetranten Mitarbeitern diverser Busorganisationen empfangen? Welch angenehmes Gefühl!
Daraufhin sind wir in ein Internetkaffee gegangen, um uns zu informieren wo wir am besten und günstigsten unterkommen können. Als wir eine Kleinigkeit an dem an das Internetkaffee gegliederten Restaurant essen wollten, wurden wir mit einem neuen, aber altbekannten, nun jedoch umgekehrten, Hindernis konfrontiert. Der Keller konnte kein Kiswahili, weder noch richtiges Englisch noch Französisch (beides Amtssprachen in Ruanda), lediglich Kinyarwanda, die Nationalsprache Ruandas.
Obwohl in ganz Ostafrika Kiswahili als Amts- und Verkehrssprache gilt, sprechen es in Ruanda meis nur die Menschen, die die Sekundarstufe besucht haben. Ebenso ist es mit Englisch und Französisch. Mittlerweile wird vorzugsweise auf Englisch unterrichtet, um sich mehr an das Bildungssystem der Ostafrikanische Union zu binden.
So kam es häufiger vor, dass wir nicht wussten in welcher Sprache wir mit jemanden kommunizieren sollten, auf der anderen Seite jedoch war es toll Französisch sprechen zu können und ein wenig Kinyarwanda zu lernen.
Was uns bereits nach der Taxifahrt auffiel ist, dass Ruanda, und insbesondere Kigali, relativ teuer im Vergleich zu Tansania ist. Alle Dinge kosten in etwa absolut das Gleiche, der ruandische Franc ist aber fast des Dreifache wert.
Das Lebensniveau in Kigali lässt sich ebenfalls nicht mit Tansania vergleichen. Ich habe bisher keine tansanische Stadt gesehen, die derart sauber, sicher und entwickelt ist.
Umuganda-Tag: Kein Auto unterwegs
An der Sauberkeit der Stadt ist die Bevölkerung sogar aktiv beteiligt: Immer am letzten Sonntag des Monats wird die Stadt gemeinsam von allen Einwohnern gesäubert (sogenannter Umuganda-Tag, der Tag der gemeinschaftlichen und gemeinnützigen Arbeit). Dieses Ritual wird konsequent von der ruandischen Regierung umgesetzt. Es werden Straßensperren errichtet und jeder, der sich nicht beteiligt, zahlt ein Bußgeld.
Außerdem ist Kigali, z.B. im Vergleich zu Arusha, extrem sicher. An jeder Straßenecke stehen bewaffnete Soldaten mit Maschienenpistolen, die Polizei ist angeblich kaum korrupt und an den großen Einkaufshäusern wird man regelmäßig kontrolliert.
Eine Vielzahl von Banken, Restaurants, Unternehmen und Geschäften bilden das reiche Stadtzentrum.

Am Eingang des Genozid Denkmals
Da ist es kaum zu glauben, dass dieser friedliche, sichere und schöne Ort vor 18 Jahren Schauplatz eines Völkermordes war, der mehr als 1,000,000 Menschen das Leben kostete.
In annähernd 100 Tagen, nämlich vom 06. April 1994 bis Mitte Juli töteten Anhänger der Hutu- Mehrheit, eine soziale Gruppe bzw. Kaste, schätzungsweise 75% der Tutsi Minderheit sowie moderate Hutu, die sich nicht an dem Völkermord beteiligen wollten.
In Kigali gibt es ein Genozid Denkmal, welches umfassend über die Geschehnisse des Völkermordes aufklärt und darüber hinaus eine zweite Ausstellung über weitere Völkermorde, die sich auf der ganzen Welt zugetragen haben.

Ich werde im Folgenden ein wenig über die Daten und Geschehnisse schreiben, die ich behalten habe. Natürlich ist dies nur eine grobe Zusammenfassung dessen, was sich damals ereignet hat. Sollte ich mich in ein paar Punkten irren, würde ich mich über eine Bemerkung freuen.

Die Bezeichnung „Hutu“ und „Tutsi“ diente vor der Kolonialzeit lediglich ökonomischer Zuordnung. Demnach wurden reiche Personen als „Tutsi“ bezeichnet und ärmere Menschen als „Hutu“. Rassistische Merkmale entwickelten sich erst während der Kolonialisierung durch die Deutschen 1899-1919, welche die Überlegenheit der Tutsi durch deren angebliche Abstammung von den Europäern legitimierten. Diese Ansicht wurden von den Belgiern übernommen, denen nach Ende des ersten Weltkriegs das Mandat für Ruanda erteilt wurde und sogar verstärkt, indem 1932 ein Personalausweis im Sinne einer Volkszählung eingeführt wurde auf dem gekennzeichnet war, ob es sich um einen „Tutsi“ oder einen „Hutu“ handle.
Von nun an wurden die „Tutsi“ weitestgehend von der „Kolonialmacht“ Belgien bevorteilt, sodass sich die beiden Gruppen zunehmend verfeindeten.
Die Hutu-Revolution führte 1961 zu einem Machtwechsel sowie einem Einparteienstaat. Viele Tutsi flohen zu dieser Zeit ins Ausland oder wurden vertrieben.
Präsident Habyarimana, ein Hutu, der durch einen Putsch an die Macht gekommen war, konnte kurzzeitig die Konflikte zwischen Hutu und Tutsi unterbinden. 1990 jedoch kam es zu einer Konfrontation mit der Tutsi Rebellenarmee, der Ruandischen Patriotischen Front, die von Uganda aus agierten. Zu dieser Zeit erfuhr die ruandische Regierung massive militärische Unterstürzung, allen voran durch Frankreich, um die Rebellenarmee zurückzuschlagen und um zugleich den Völkermord vorzubereiten. Trotz versuchten Friedensverhandlungen 1992 in Arusha, die in erster Linie das Ziel hatten, den ruandischen Flüchtlingen eine Rückkehr ins Land zu ermöglichen, konnten die Gewaltakte zwischen der Ruandischen Patriotischen Front und der Partei des Präsidenten Habyarimana nicht beschwichtigt werden.
Zur Vorbereitung des Völkermordes zählte systematische Propaganda und die Ideologie die Gruppe der Tutsi ausnahmslos zu vernichten. Die extremistische Hutu Zeitung „Kangura“ veröffentliche die „Zehn Geboten der Hutu“ in denen vor jeglichem Kontakt mit Tutsi gewarnt wurde.

Blick auf das Stadtzentrum von der Gedenkstätte aus
Die Regierung bediente sich ebenfalls des Radios, um ihre Hasspredigten zu verbreiten, da 40 % der Bevölkerung Analphabeten waren.
Der Völkermord wurde schließlich am 06. April 1994 ausgelöst, nachdem das Flugzeug von President Habyarimana beim Anflug auf Kigali abgeschossen wurde. Wer für dieses Attentat verantwortlich war, weiß bis heute niemand. Auf der einen Seite könnten es extremistische Hutu gewesen sein, die mit der Verhandlungsführung des Präsidenten während der Arushakonferenz nicht einverstanden waren oder aber Mitglieder der Ruandischen Patriotischen Front, um einen Bürgerkrieg heraufzubeschwören.
Noch in der selben Nacht begann der langwierig vorbereitete, systematische Völkermord. Die Premierministerin, die unter dem Schutz von UN-Blauhelmsoldaten stand, wurde ebenfalls in derselben Nacht ermordet. Zehn UN Soldaten starben, sodass die Mehrheit der Blauhelmsoldaten, die für die Durchsetzung des Arusha-Friedensabkommens eingesetzt wurden, abgezogen wurden.
Angeblich soll es sogar einen Informanten gegeben haben, der Informationen über den geplanten Völkermord an den Generalmajor der UN Friedenstruppe, Roméo Dallaire, weitergab. Dieser bat daraufhin bei seinem Vorgesetzten in New York um ein stärkeres Mandat, welches auch die Erzwingung des Friedens durch Waffeneinsatz legitimiert hätte. Dies alles blieb jedoch ohne Wirkung. Der Völkermord in Ruanda passierte in Gewissheit vieler westlicher Staaten, ohne jeglicher militärischer Reaktion zu dessen Unterbindung.
Tutsi, die Zuflucht bei UN Soldaten gesucht hatten, fielen nach deren Abzug der Soldaten ihren Mördern hilflos in die Hände.
Bei den Massakern wurden alle möglichen Mittel und Waffen eingesetzt. Mit Macheten, Speeren, Knüppeln, Nagelkeulen, Äxten und Hacken wurden die Opfer zur Strecke gebracht. Sexuelle Vergewaltigungen durch HIV infizierte Hutu wurde systematisch durchgeführt. Die Zahl der Vergewaltigungen wird von UNICEF auf 250,000 bis 500,000 geschätzt.
Opfer wurden gezwungen, ihre Ehegatten oder ihre Kinder umzubringen. Viele Eltern wurden vor den Augen ihrer Kinder erschlagen.

Häufig suchten Opfer in Kirchen oder Schulen Schutz. Wir haben in der Nähe von Kigali in Ntamara eine Gedenkstätte besucht, an der ca. 5,000 Menschen starben. Eine unglaubliche Summe, wenn man sich der winzigen Größe des Kirchengeländes bewusst ist.
Gedenkstätte Ntamara
Häufig war der Klerus in die Massaker eingeweiht, sodass die Menschen in dem Glauben in Sicherheit zu sein, schutzlos ausgeliefert niedergemetzelt wurden.

 Die juristische Aufarbeitung des Völkermordes in Ruanda findet übrigens ebenfalls hier in Arusha statt. Der internationale Strafgerichtshof erhebt gegen den Kreis der hochrangigen Drahtzieher des Völkermordes Anklage. Felix und ich hatten letztes Jahr im November bei einer Anklage zugeschaut.

Es ist ein unbeschreibliches, merkwürdiges Gefühl zu wissen, dass die Menschen, die einem in Ruanda begegnen mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder Täter oder Opfer des Genozides waren.
Ich habe mit mehreren Menschen gesprochen, die von ihrem Schicksal gesprochen haben. Ein junger Mann, den ich abends in einer Bar getroffen habe, erzählte mir, dass er der einzige Überlebende seiner Familie sei. Sein Bruder hatte sich damals schützend auf ihn geworfen, bevor er erdolcht wurde. Über eine Hilfsorganisation ist er schließlich nach Kampala gekommen und lebt derzeit in Nairobi, Kenya. 
 
Eines der zahlreichen Plakate zur Erinnerung an den Genozid
Es ist zugleich krank zu welch Taten die Menschen damals bewegt wurden (teilweise haben sich lang befreundete Menschen gegenseitig umgebracht!!) und zugleich beeindruckend, in wie weit sich die Menschen verziehen haben und nun zusammen an der Entwicklung des Landes arbeiten. Seit 2000 ist Paul Kagame, der damalige Führer der Ruandischen Patriotischen Front, Präsident von Ruanda und wurde meinen Informationen zufolge 2010 mit großer Mehrheit in seinem Amt bestätigt. Die Menschen, denen ich begegnet bin, berichteten mir, dass Paul Kagame sein Amt mir großer Seriosität ausübt und sie zufrieden mit seiner Arbeit sind.



Zwei Tage, nachdem Felix und ich in Kigali gewesen waren, stießen drei weitere Volontäre und zwar Marvin und Ole aus Mwanza und Frithjof aus Dar es Salaam zu uns. Die Drei kamen direkt aus Uganda, wo sie bereits eine Woche verbracht hatten.
Am nächsten Tag machten wir uns nach der Besichtigung der Gedenkstätte bei Ntarama nach Butare auf, welches im Süden von Ruanda liegt.
Im Nyungwe Nationalpark
Am darauf folgenden Tag wollten wir eigentlich im Nyungwe Nationalpark wandern gehen. Die Busfahrt dauerte jedoch aufgrund der vielen Hügel – nicht umsonst wird Ruanda „Land der tausend Hügel“ genannt – deutlich länger als geplant. Dies sollte uns jedoch nicht daran hindern am nächsten Tag eine Wanderung durch den Urwald zu machen. Um ehrlich zu sein, hat mich die Lust Nationalparks zu besuchen ein wenig verlassen, da ich die Preise persönlich zu hoch finde und es so viele andere – und auch kostenlose – Möglichkeiten gibt, die Natur eines Landes zu erkunden (das gleiche gilt auch für Tansania). Auf der anderen Seite ist es natürlich praktisch für Touristen derartige Orte auffinden zu können und darüber hinaus macht der Tourismus einen großen Anteil am Bruttoinlandsproduktes aus – ob das nun gut oder schlecht ist, ist wiederum ein anderes Thema.
Trotzdem hatten wir einen schönen Vormittag – auch, wenn die einzigen Affen, die wir zu Gesicht bekamen an der Rezeption lauerten, um uns unser Frühstück zu stehlen....

Unsere Unwissenheit über die Reise holte uns dann schließlich in Cyangugu direkt an der kongolesischen Grenze ein. Wir hatte darauf gesetzt auf einem Schiff den Lake Kivu in den Norden hochfahren zu können, um darauf hin ein paar Tage am Strand des angeblich nicht Bilharziose- verseuchten Sees zu entspannen. Doch es fuhren nur Frachtschiffe, die nicht bereit waren uns mit an Bord zu nehmen (obwohl uns auf dem Weg nach Cyangugu mehrmals bestätigt wurde, dass ein Passagierschiff fährt). In unserer Verzweiflung entwickelten sich wilde Theorien und Pläne, wie etwa in den Ostkongo überzusetzen und dann entweder von dort mit einem Schiff nach Goma am Nordspitzel des Lake Kivus zu fahren oder gleich mit dem Bus an den Villen der Warlords vorbei, die den Bürgerkrieg im Kongo unaufhörlich brutal vorantreiben, bis nach Goma zu fahren, nur, damit wir nicht die ganze Strecke über Butare und Gitamara in den Norden zurückfahren müssen.


 Letztlich scheiterten unsere Pläne an den immens hohen Visa-Kosten, sodass wir in elf Stunden mit dem Bus über Butare und Gitamara in die beschaulich schöne Stadt Gisenyi ganz im Norden von Ruanda fuhren und uns schworen, die nächsten zwei Tage keinen Bus mehr zu besteigen.
Letztendlich verbrachen wir also doch noch ein paar entspannte, sonnige Tage in Gisenyi, machten eine Stadtrundfahrt auf geliehenen Mountainbikes, ließen es uns (tagsüber) gut gehen im 5-Sterne Hotel Serena, spielten ausgelassen Volleyball am Strand und gingen doch nur im Hotelpool baden, da sich schließlich keiner in den Lake Kivu traute.

Insgesamt war es ein schöner, interessanter und informativer Urlaub, den wir in Ruanda hatten, auch, wenn wir unseren Nachfolgern sicherlich eine andere Reiseroute ans Herz legen werden!



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